Minimalismus, Natur-Home und Historischer Kult, der sich in den zahlreichen Retrotrends spiegelt, sind drei bestimmende Hauptströmungen, die die aktuellen Einrichtungskonzepte des Interiordesigns prägen. Dabei werden neuartige Ansätze nicht nur innerhalb der jeweiligen Stilrichtung entwickelt. Ebenso sind diese Gestaltungselemente stilübergreifend, untereinander auf unterschiedlichste Art- und Weise miteinander kombiniert, vermischt und „überschrieben“, so dass neuartige Ausdruckqualitäten entstehen.
Warum sind diese drei Stilausprägungen so beliebt?
Zeige mir wie du wohnst, und ich sage dir wer du bist. Die Dinge, mit denen wir uns umgeben, haben neben den rein nützlichen Aspekten ebenso sogenannte sekunderäre Funktionen für uns, die ästhetische, symbolische und psychologische Aspekte beinhalten und nicht klar voneinander abgrenzbar sind. In ihnen spiegeln sich Anteile unserer Wertvorstellungen, Haltungen, Vorlieben und Bedürfnisse, die sich gebündelt in den Stilrichtungen wiederfinden.
Objekte haben mit der Art, wie sie aussehen, eine bestimmte Wirkung auf uns. Diese lässt sich mit unseren Sinnen relativ objektiv erfassen und kann entsprechend des jeweiligen Erscheinungsbildes beispielsweise als zurückhaltend, ruhig, vordergründig, dominant, vielgliedrig, diffus, klar, hart, weich, bunt usw. beschreiben. Je nach individueller Prägung können wir diese Anmutungscharaktere als angenehm, neutral oder auch als eher unangenehm empfinden. Dieses Spannungsfeld gewinnt an Komplexität, wenn mehrere Objekte miteinander in Beziehung gesetzt werden oder ein gesamtes uns umgebendes Umfeld, wie zum Beispiel die Wohnungseinrichtung entsteht. Das gewählte Design hat damit einen großen Einfluss auf unser Wohlempfinden. Außerdem bestimmen die „Codierungen“, mit denen Formen „aufgeladen“ werden, unsere Geschmacksvorlieben. Das heißt, Objekte werden aus unseren Erfahrungen heraus mit Bedeutungen verknüpft und stehen symbolisch für diese Inhalte. So verbinden wir zum Beispiel Lebensweisen, Haltungen und Wertvorstellungen von Gesellschaftsschichten, Gruppen oder einzelnen Personen mit den Stilausprägungen und dem Formvokabular, das von ihnen benutzt wird und benutzt wurde. Je nachdem, wie wir diese Gruppen bewerten und in welchem Kontext wir diese betrachten, beeinflusst das unsere Stilpräferenzen. Aus diesem Zusammenhang heraus gelten bestimmte Stile beispielsweise als traditionell, altmodisch, klassisch, elegant, luxuriös, unkonventionell, lässig, modern, authentisch, avantgardistisch usw. Die auf dieser Ebene stattfindenden Dynamiken sind bedeutend für unser Identitätsgefühl. Sich von anderen abzugrenzen, befriedigt unser Bedürfnis nach Individualität und Einzigartigkeit. Sich zu einer bestimmten Gruppe zugehörig zu fühlen, gibt uns Sicherheit und Stabilität. Neben der Identifikation mit bestimmten Gruppen oder Personen gibt es vielfältigste Bezugsebenen, warum Objekte zu Trägern von Inhalten werden. Welche Bedürfnisse, Haltungen, Interessen und Wertvorstellungen hierbei im Einzelnen reflektiert werden, ist abhängig von unseren ganz persönlichen Erfahrungswelten und aktuellen Zeitgeistphänomenen, wie zum Beispiel von technologischen, kulturellen oder politischen Entwicklungen.
Der Soziologe Matthias Horx setzt sich in seinem Buch „Megatrends“ mit zentralen Themen unserer Zeit auseinander und verweist unter anderem auf das „fundamentale Bedürfnis nach Echtheit, Herkunft und Authentizität“. Er schreibt: „Das Gefühl, dass alles immer flüchtiger, künstlicher, unechter, irrationaler, ,nichtiger‘ wird, erzeugt in der Psyche massive Gegenreaktionen. ... Die Künstlichkeit unserer Wahrnehmung macht unsere Welt zu einem Schattenreich, in der wir unseres Selbstes verlustig zu gehen drohen. Als Verteidigung dagegen entwickelt sich in unserer Kultur eine Gegenbewegung, die vielgestaltig, aber gleichgewichtig mit dem Überbegriff ,Das große Heimweh‘ zu fassen wäre. ,Heimweh‘ bündelt alle Retrotrends...“ und kompensiert scheinbar fehlende Ankerpunkte. Er bezieht sich auf die uns umgebende Informationsflut, den schnelllebigen Zeitgeist, die Entkopplung von natürlichen und familiären Strukturen durch Flexibilitäts- und Mobilitätsansprüche, die Virtualisierung und anonyme Großstadtwelten, die Orientierungsschwankungen bei der Identitätsbildung bedingen können. In Reaktion auf diese Lebensweise, wird den historischen Formen ein besonderer Wert beigemessen. Diese werden zu Kultobjekten. Die in ihnen enthaltenen Codierungen und Zuweisungen von Attributen mit unterschiedlichen Leitmotiven erinnern auf der nonverbalen Kommunikationsebene vielleicht an eine Zeit ohne Reizüberflutung, an die Verbindung zu einem natürlichen Lebensraum, an wirklich erfühlbare und somit an authentische, echte und nicht virtuelle und künstliche Realitäten. In ihnen
steckt für den einen oder anderen ein enormer Wert darin, ein Raritäts- und Geschichtswert, ein „Echtheits- und Zeitwert“. Vielleicht ist es die Qualität eines aufwendigen und künstlerisch anspruchsvollen Handwerksprozesses, die ablesbar wird und angesichts von kurzlebigen Massenkonsumartikeln Faszination und Bewunderung hervorruft. Traditionelles Kunsthandwerk in Form von Türen, Möbelstücken, Teppichen oder Kissen findet sich in verschiedensten aktuellen Trendströmungen, wie zum Beispiel dem Ethno-Stil, dem Landhausrevival oder der Retro-Industrial-Strömung wieder. Neben den traditionellen und historischen Stilelementen sind es ebenso, die einfachen, minimalistischen und asketische Wohnstile wie beispielsweise der aus Japan kommende Einrichtungstrend Wabi Sabi, Scandy sowie natürlich anmutende Wohnkonzepte die den Zeitgeist als bewusste oder unbewusste Reaktion, auf die oben im Zitat beschriebenen Phänomene reflektieren. Mit ihren schlichten, platonischen oder natürlichen Ausdruckscharakteren werden sie in diesem Zusammenhang zu Sinnbildern für eine Kritik an „Übermaß“ und „Künstlichkeit“. Durch ihre zurückhaltende Klarheit werden Ruhezonen geschaffen, Lebensbereiche die durch Struktur, Ordnung, Stabilität, Natürlichkeit und Nachhaltigkeit geprägt sind, Räume, abseits von Hektik, Lärm und Informationsüberflutung.